Im dritten Anlauf ein Gespräch: ORF-Polittalk mausert sich

Chris’ TV-Tagebuch

„Das Gespräch“ hat zu seinem Namen gefunden. Ausgerechnet im Talk über den polarisierenden US-Präsidenten Donald Trump schaffte es das neue ORF-Format, verschiedene Aspekte und Einschätzungen aus sachlich-analytischen Zugängen heraus zu diskutieren.

Es war schon fast Viertel nach zehn, als „Das Gespräch“ gestern begann. Ich war müde, wollte mir die Diskussion aber unbedingt noch im linearen Fernsehen ansehen, als Betthupferl quasi. „Trump: Gefahr oder Chance?“, ein spannendes Thema, doch bald entwickelte sich die Sendung für mich zum Kampf gegen das Einschlafen.

Endlich ein Gespräch

Ein schlechtes Zeichen für ein Fernsehangebot? Nicht unbedingt. Nicht für einen gehaltvollen Polittalk, wo nun mal etwas wache Substanz vom Oberstübchen des Rezipienten gefragt ist. Sollte mich das Sandmännchen also abmelden während der nächsten gerade mal Dreiviertelstunde?

Vielleicht ja nicht, denn zuweilen war’s echt erfrischend. Ein Interview mit Trevor Traina und eher erwartbaren Antworten des ehemaligen US-Botschafters in Österreich während Trumps erster Amtszeit gab’s in aller Kürze per Einspieler, aber dann: Einmal kein plumpes Ausflaggen und Nachmarkieren jeweils bekannter Standpunkte. Einmal keine kleinkarierten Motive, dem Gegenüber am Holztisch per se in die Parade zu fahren. Einmal die nötige Distanz, auf wirklich große Fragen einen entsprechend breiten Blick werfen zu können.

ORF-Polittalk "Das Gespräch" Graphik
Besonnener denn je, ausgerechnet bei der Diskussion über Donald Trump: „Das Gespräch“ in ORF 2 (c) ORF

Sympathisch wertfrei: Wissen vom Wirtschaftsforscher

So erlebte man (Noch-)Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher in seiner gefühlt neuen-alten, wahrhaft sympathischen Rolle als unvoreingenommenen Erklärer von wirtschaftlichen Zusammenhängen. Wie zu besten Zeiten als IHS-Chef gab’s von Kocher interessanten Input, unstrittig faktenbasiert – zumindest weitenteils. Das bestehende Bild einer tendenziell moralgeleiteten EU- und einer pragmatisch betriebenen US-Außenpolitik gibt es fraglos, dessen unterstreichende Betonung aber war der einzig durchaus streitbare Part von Kochers Äußerungen. Ansonsten konnte man richtig etwas lernen an diesem Abend, vom designierten Gouverneur der Österreichischen Nationalbank.

So ordnete Kocher zunächst die Bedeutung unserer Außenhandelsbeziehungen zu den USA ein. Nüchtern, ohne Schönreden drohender Problematiken, sind doch die USA nach Deutschland die zweitwichtigste Exportdestination für Österreich. Aber auch ohne Hochstilisieren etwaiger Szenarien, wie sie in der kommenden, vierjährigen Amtszeit des Republikaners Trump auf uns zukommen – betont: könnten.

Zur Strafe Zölle: „EU behandelt uns sehr unfair“

Denn Einfuhrzölle in die Staaten würden vor allem US-Bürger selbst treffen, erinnerte der Ökonom freilich mit Blick auf die globalen Folgewirkungen. Warum steht so ein Damoklesschwert von neuen Strafzöllen überhaupt im Raum? Auch darauf hatte Martin Kocher, der sein Amt als Chef der OeNB im September antreten wird, eine Antwort – und diese, wenig überraschend, in einer seriöseren Gesamtschau als der US-Präsident, der zuletzt – zugeschaltet beim Weltwirtschaftsforum in Davos – beklagte, wie schlecht und unfair Brüssel die USA behandle.

Trump gefällt es bekanntlich nicht, dass Europa einen klaren Exportüberschuss an Waren im Handel mit den USA aufzuweisen hat. Kocher vervollständigte diese Bilanz indem er hinwies, dass demgegenüber ein Überschuss an Dienstleistungen zugunsten der Amerikaner stehe. Tatsächlich machen die Staaten vor allem auf dem Finanzsektor seit langer Zeit gute Geschäfte mit der EU.

Wie besonnen, so zerronnen

Der Diskutant des Abends sei damit gekürt, nachgereicht noch sein redundant eingesetztes Wort des Sonntags: „Besonnenheit“. Nur um an der Stelle einen harten Bruch zu vollziehen und auf die beiden Damen in der Runde einzugehen. Die haben sich als meine persönlichen Wachhalterinnen gerade deshalb verdient gemacht, weil sie mit einem kurzen Schlagabtausch eben verhinderten, mich allzu bald besonnen in den Schlaf gleiten zu lassen.

Der Grund ist deren kleiner Zwist, den Ingrid Brodnig auslöste, als sie Gegenüber Claudia Franziska Brühwiler heftig ankreidete, jene Problematik zu verkennen, die von offenbar auf Linie gebrachten Tech-Giganten wie Elon Musk, Mark Zuckerberg, Sundar Pichai oder Jeff Bezos ausgehe. Sind Leute wie diese überhaupt Oligarchen im engeren Sinn, gab die promovierte Staatswissenschafterin und Privatdozentin für Amerika-Studien der Universität St. Gallen zuvor leicht zweifelnd zu bedenken.
Ebenso schnell wie aufgekommen, waren die unterhaltsamen Unstimmigkeiten dann auch wieder eingestellt. Brühwiler zog es vor, nachzugeben, und Moderatorin Susanne Schnabl lenkte das Gespräch geschickt weiter, übergab das Wort an den charismatischen Ruhepol zu ihrer Rechten.

Susanne Schnabl im Studio von "Das Gespräch" im ORF
Manövrierte ruhig und gelassen durchs Gespräch, ließ dessen Dynamik dabei schön Lauf und war Garantin für eine gelungene Sendung: Moderatorin Susanne Schnabl. (c) ORF/Roman Zach-Kiesling

Brodnigs Bemühungen

Weil auch US-Kenner Robin Lumsden, der in Wien und New York tätige Anwalt, eine sehr unaufgeregte Rolle mit Fokus auf wirtschaftliche Kernfragen einnahm, wirkte Brodnig etwas wie ein Fremdkörper in dieser erstmals mit vier Gästen geführten Debatte. Tief drin in Überlegungen, wie sich befürchteter Protektionismus der neuen Trump-Administration in Europa auswirken könnte, wirkte Brodnig mehrmals recht kleinteilig und etwas hastig damit, ihre facheinschlägigen Themen ins Spiel zu bringen. Von weltbewegenden Wirtschaftsbelangen ist dann eben doch nicht so leicht herunterzubrechen auf abgeschaffte Meta-Faktenchecker im Silicon Valley, auf Hass und Hetze in sozialen Netzwerken und die mahnende Botschaft, dass auf besagten Plattformen jetzt auch in Europa alles durchgewunken werden dürfte, was nicht explizit justiziabel ist.

Es sei dennoch eine Lanze gebrochen für die zuweilen überpräsente Digitalexpertin: Mögen auch Anknüpfungen wie jene an die sich herausbildenden Kulturkämpfe diesmal zu bemüht gewesen sein, so hatte diese Runde Brodnigs kritischen Blick auf die Kapitalistenriege durchaus nötig.
Oder wenigstens einen solchen auf den Wahlkampfauftakt der AfD, der am Samstag in Halle an der Saale mit demonstrativ zur Schau gestellter Einmischung des von der Großbildleinwand grinsenden Elon Musk über die Bühne ging, wie kurz gezeigt wurde. Irgendwo zwischen hoffnungsvoller Beschwichtigung und gänzlich Schweigen fand sich die hierzu ratlose Runde wieder.

Einladungspolitik des ORF: Vielfalt braucht Abwechslung!

Bemerkenswert inkohärent übrigens die Herangehensweise des ORF bei der Podiumszusammenstellung: Aus der Politikwissenschaft diesmal nicht Peter Filzmaier, nicht Thomas Hofer, auch nicht Kathrin Stainer-Hämmerle oder Katrin Praprotnik, ja nicht einmal der bei USA-Themen häufig gefragte Reinhard Heinisch, sondern mit Claudia Franziska Brühwiler nicht nur ob ihrer farbenfrohen Kleidungswahl bunte Abwechslung und eine mit Neugier erwartete Stimme, die eingeladen wurde – das tat gut.

Andererseits eben, als gäbe es niemanden sonst, einmal mehr Ingrid Brodnig, die in vielen Foren längst als „Haus- und Hofexpertin“ des ORF kommentiert wird. Weder Brodnigs Top-Expertise noch dem Rundfunk stehen solche Zuschreibungen gut an. Umso mehr fragen sich deshalb viele, warum man sich seitens des Senders nicht auch auf dem Gebiet von Social Media & Co. um weitere Gesichter bemüht, einer gebührenden Vielfalt im Öffentlich-rechtlichen zuliebe.

Erst Mitte Dezember, bei der letzten Ausgabe von „Im Zentrum“, saß Ingrid Brodnig auf einem der Sessel im Polittalk, und auch dazwischen gab’s schon wieder prominent Bildschirmzeit. Tatsächlich ist das eine enorme TV-Präsenz für eine einzige Person – zu einem Thema, worüber sich viele kluge Köpfe mit entsprechend Fachkenntnis bestimmt gerne äußern würden.

„Gespräch“ kein Gassenfeger

Aber sonst, ey ORF, da war drin was draufstand: Das war ein Gespräch! Keine zwei Vorträge, nein: ein Gespräch. „Das Gespräch“, zwar mit stabilem Marktanteil von 24 Prozent und damit fast jedem vierten TV-Konsumenten, der zur „richtigen“ Zeit ORF 2 aufdreht, aber mit nur noch 393.000 Zuschauern – jede Woche ein paar zigtausend weniger. Und ein paar, die weggeschlafen sind, müssten da schon mitgezählt sein, wenn sie nur nicht brav den Sleeptimer auf halb elf gestellt haben …

Die Nachbarn aus dem Bett geläutet, wie’s Christoph Grissemann in „Willkommen Österreich“ oftmals nahelegt, hat fürs „Gespräch“ also wohl noch keiner. Wieder fast ein volles Happel-Stadion weniger als in der Vorwoche, schade – einen solchen Abwärtstrend gilt es jetzt aufzuhalten. Zumal inhaltlich zusehends besser, ist dem Format zumindest ein Halten der aktuellen Quote unter ohnehin schwierigen und, worauf vieles hindeutet, wohl noch schwieriger werdenden Umständen zu wünschen.

Trump-Politik in langweilig

Traurig, aber vielleicht braucht es wirklich die Seifenoper Innenpolitik, die uns unterhält. Dabei wäre das Angebot doch originell genug gewesen: Stell dir vor, in Übersee die wilde Woche der Inauguration von Donald Trump mit dessen bekanntem Pomp und Trara, und hierzulande, wie zum Trotz, die unaufgeregteste Talkrunde seit langem, die genau das ruhig bespricht, kontrastiert.

Abschließend sei zugegeben: Ich musste die letzten zehn Minuten der Sendung heute früh auf ORF ON nachsehen, weil ich meinem Sandmännchen doch noch erlegen bin. Ich bin eingeschlafen. Nicht weil die Sendung so schlecht gewesen wäre, im Gegenteil. Aber vielleicht, weil Politik endlich mal wieder so langweilig war, wie sie sein sollte.