Chris’ TV-Tagebuch vom 19. Jänner 2025
„Das Gespräch“, der neue Polit-Talk Sonntagabend im ORF, zeigte sich in Folge zwei stark verbessert im Vergleich zur Premiere. Ihrem Titel hinkt die Sendung aber weiter hinterher: Ein wirkliches Gespräch mit spannender Dynamik kam wieder nicht zustande, stattdessen gab’s einen bunten Strauß an Standpunkten.
Wenn man sich Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, und Kari Ochsner, den Präsidenten der Niederösterreichischen Industriellenvereinigung, von deren Persönlichkeit her ansieht, hat man durchaus das Gefühl: die beiden können miteinander reden. Gegenüber Platz genommen hat WIFO-Chef Gabriel Felbermayr, nicht zuletzt um die erwartbar unterschiedlichen Positionen aus Arbeit und Wirtschaft entlang einer faktenbasierten Ebene zu besprechen.
Podium mit Potential plaudert in Parallelwelten
Diese grundvernünftige Podiumszusammenstellung hatte die aktuelle Sendung der Erstausgabe voraus. Gleich nochmal wagte man sich in einer Runde dreier Gäste. Anders als vor einer Woche konnten die Sendungsverantwortlichen mit der Zusammenstellung der Debattierenden diesmal punkten. Zwei Konterparts und eine Art Schiedsrichter, allseits angesehen, ergänzend zur unvoreingenommenen Moderatorin freilich – so pfeift das.
Seitens des Senders wäre es also weitgehend angerichtet gewesen, das Thema „Was kommt nach dem Sparpaket noch auf uns zu“ unter breitem Einbezug von Blickwinkeln, Dimensionen und ganz viel Für und Wider zu beleuchten. Doch seinen Titel bleibt das Format weiterhin schuldig. Zu einem Gespräch gehört nämlich mehr als der Vortrag einzelner Standpunkte aller Beteiligten. Wo bleibt denn nur die Interaktion? Geschweige denn konstruktive Annäherung, wie sie einen Raum für Kompromisse anbahnen könnte, fehlte zwei von Dreien schon die Schlagfertigkeit – vielleicht auch Kompetenz und Verständnis für Zusammenhänge, die sich außerhalb des eigenen Tellerrands abspielen – überhaupt auf die Argumentationslinie des Gegenübers einzugehen; sei es auch nur, diesem etwas Wind aus den Segeln zu nehmen.
Konsens k.o.
Was wir stattdessen geboten bekamen, war ein Nebeneinander sondergleichen. Zwei wie parallel verlaufende Ausführungen unterschiedlicher Zugänge, wie jetzt gespart werden kann, wo denn nun Geld herkommen soll und ganz grundsätzlich: ob die Stellschrauben in erklecklichem Maß auch einnahmenseitig oder doch vorwiegend bei Ausgaben unseres Staatshaushalts zu drehen sind. Surprise, surprise: Diese Standpunkte waren absehbar. Neuigkeitswert null, Annäherung sowieso null und selbst Bereitschaft, überhaupt groß einzugehen auf die Aspekte der / des jeweils anderen: quasi nicht vorhanden. So konnte sich die zunächst einmal auf 431.000 eingependelte Zuseherschaft lediglich ein Bild davon machen, wie einzementiert sich erst die Verhandler:innen selbst gegenübersitzen müssen, retrospektiv: mussten.
Zwei durchaus smarte Kontrahenten und doch weit und breit kein Weg, der zueinander führen würde in der Sache – das sagt eine Menge aus über den Zustand unserer einstigen Konsensrepublik, die längst dabei ist, sich in Partikularinteressen zu verlieren. Die Frage darf erlaubt sein: Wo befinden wir uns wirklich, zwischen noch unter schwierigsten Vorzeichen unablässig lösungsorientiertem Austausch im besten Sozialpartnerstil und vollkommener Festgefahrenheit fragmentierter Lager, zwischen etablierten Institutionen im Rahmen einer eleganten Verfassung und kleingeredeten Tendenzen einer illiberalen Demokratie, zwischen der vielgelobten, intakten Zivilgesellschaft und neun Millionen Ich-AGs im Land?
„Schiri“ Felbermayr: Ehrliche Expertise, aber keine Entscheidung
Jüngste Erkenntnis: Sieht nicht sehr gut aus fürs große Ganze. Dabei hätte die profunde Wirtschaftsexpertise des Wifo-Direktors mehrmals regelrecht eingeladen, den Ball in gewissen Konfliktfeldern nochmal aufzugabeln und nach besten Lösungen zu suchen. Gabriel Felbermayr hatte seinen beiden Mitdiskutanten just voraus, eben sehr wohl schlagfertig auf sie eingehen zu können – Kompetenz öffnet Türen, auch in der Fernsehdebatte.
Moderatorin Susanne Schnabl ließ die Parallelwelten auf der einen Tischseite laufen, spielte dafür immer wieder geschickt rüber auf Felbermayr, der stets sachlich, konkret und wohlabgewogen einordnete. Vom Klimabonus, der jetzt abgeschafft werden soll, über Sinn und Unsinn der Besteuerung des Faktors Arbeit – Stichwort Lohnnebenkosten – bis hin zu Vermögenssteuern unter der Sorge um abfließendes Kapital: Felbermayr ordnete alles im Raum Stehende sehr anschaulich ein; und man sollte meinen, er hätte es auch den beiden anderen Gästen leicht gemacht, zueinander zu finden. Weil ohnehin keine unangenehme Einzelentscheidung für sich alleine stehen könne, sondern alle Überlegungen im Bündel kommen müssten, zusammengeführt in einem Paket, das einen möglichst ausgewogenen Mix darstellt und so die Chance hat, auf Akzeptanz zu stoßen.
Welche Maßnahme ist überhaupt eine soziale, wie ginge dieses und jenes besser, treffsicherer? Wo ansetzen den Rotstift, was macht das notwendige Sparpaket eigentlich mit der ohnehin schon stockenden Konjunktur, und wie sparen wir (demnächst noch deutlich mehr), ohne es allzu sehr zu merken? Gabriel Felbermayr sprach Klartext. Nur das Bild des Schiedsrichters bekommen wir an einer ganz entscheidenden Stelle nicht fertiggezeichnet: Es sind andere, die entscheiden. Jedenfalls hätten Felbermayrs Gegenüber reichlich Gelegenheit gehabt, sich zu überlegen, wo man sich sinnvollerweise recht leicht aufeinander zubewegen könnte. Nun, das ist nicht passiert. Zumal ja eine Seite jetzt meint, fein raus zu sein mit dem eigenen Ansinnen am Vormarsch.
Unvereinbar – oder doch nur Unvermögen?
Er will Vermögende und Superreiche auf keinen Fall mehr belasten, sie beeindrucken die gestiegene Lebenserwartung und ungünstige demografische Faktoren nicht so sehr, um sich auch nur auf jegliche Debatte ums gesetzliche Pensionsantrittsalter einzulassen, noch nicht einmal auf Sicht.
Da kann sich Frau Teiber schon um Überzeugungsarbeit bemühen uns zu verklickern, wie kompromissbereit die SPÖ gewesen sei in den Verhandlungen für eine Dreierkoalition – ihr Debattenbeitrag legte eher das Gegenteil nah. Da kann Herr Ochsner schon ins Treffen führen, wie weltoffen denn die heimische Industrie sei, nur um postwendend das Pragmatische dieses Gedankens nachzuliefern: Wir brauchen ja die Arbeitskräfte aus dem Ausland, Lohnstückkosten und so …
Zugutehalten kann man den Beiden, dass sie – innerlich sichtlich schon schäumend – immerhin die Disziplin aufgebracht haben, das Gegenüber ausreden zu lassen. Ochsner, dass er zumindest die Umsicht hatte, die Belange der Wirtschaft nicht als Selbstzweck, sondern als Grundlage des allgemeinen Wohlstands hervorzuheben. Teiber, dass sie noch am Ende der Sendung ums Hervorheben eines gemeinsamen Nenners bemüht war: Die enorm gestiegenen Energiekosten sind ein Problem, befand sie, hoffend auf Zustimmung Ochsners wenigstens darin.
Warten auf das wirkliche Gespräch
Stillschweigendes Nicken, keine Einwände, keine Ergänzung. Der Konsens in Österreich nimmt anscheinend nur noch die niedrigsten Hürden. Größere Fragen? Gut, die europäische Ausrichtung kam schon zu Wort. Dank der Moderatorin. Blaue EU-Skepsis, von Teiber keinesfalls leidenschaftlich problematisiert. Tenor Ochsner ohnehin: Wird schon gutgehen. Noch größere Fragen? Die Amtseinführung von Donald Trump tags darauf – darüber kein Wort.
Zunächst einmal ist die Hoffnung ohnehin eine simple: Dass vielleicht wirklich aller guten Dinge drei sind – dass „Das Gespräch“ wirklich ein Gespräch wird.