Orange, aber nicht erhellend: „Das Gespräch“ floppt zum Auftakt

Chris’ TV-Tagebuch

Konnte man doch tatsächlich auf erstaunlich positive Kommentare zur Premiere vom neuen ORF-Polittalk „Das Gespräch“ stoßen – der Zauber des Neuen? Bei mir stellte sich vielmehr Ernüchterung ein. So sehr, dass ich meinem knallharten Fazit einen wohlwollenden Appell vorausschicken möchte: Geben wir Susanne Schnabl noch eine Chance – gerne jede Woche eine neue, denn noch öfter wird sie’s nicht leicht haben mit ihren Gästen!

558.000 Zuschauer vor den TV-Geräten und 29 Prozent Marktanteil in der Gesamtzielgruppe ab zwölf Jahren, das sind die passablen Zahlen zur Premiere von „Das Gespräch“ am 12. Jänner. „Im Zentrum“ damit fürs Erste getoppt, die Neugier aufs Neue muss mitgeholfen haben, mehr noch ganz bestimmt: zehn außergewöhnlich turbulente Tage in der österreichischen Innenpolitik gleich zum Jahresstart; „Chaostage“ wer mag, jedenfalls wie bestellt für den „Gesprächsauftakt“ am Sonntagabend.

Trotz Top-Frauenquote: Der interessanteste Mann im Raum

Gerade mit Blick auf diese wahrlich besten Voraussetzungen für eine spannende Runde ist die Ernüchterung riesig. Dabei hat der Trailer schon nahegelegt, die Erwartungen lieber nicht allzu hoch zu schrauben – da wurden die Gäste der ersten Sendung und deren Titel „Blau-schwarze Zeitenwende“ angekündigt: Es diskutieren Ex-Bundespräsidentschaftskandidatin Irmgard Griss, die früher für die Schüssel-ÖVP tätige Kommunikations- und Strategieberaterin Heidi Glück und der aktuell heftig ins Rampenlicht getretene geschäftsführende ÖVP-Bundesparteiobmann Christian Stocker.

Während sich die Republik just ob Letzterem mehr denn je fragt, wem man denn in der Politik überhaupt noch irgendetwas glauben kann, hat Stocker dessen vielzitierte und sogar seinerseits durchaus charismatisch eingestandene Kehrtwende zu Kickl den Abend im geschmackvoll neu ausgestalteten TV-Studio keineswegs kompliziert gemacht. Im Gegenteil: Diese Wohlfühlrunde kürte ihn sofort zur interessantesten Person im Raum, um die sich alles drehen sollte am sargförmigen Tisch.

Stockers Glück

Von Heidi Glück wehte ihm ein etwas bemüht wirkender Anflug von Kritik entgegen, als sie die scharfe Abgrenzung zu Kickl im Wahlkampf als strategischen Fehler der ÖVP ausmachte. Abgesehen davon, dass Glück ihre Einwände mehrmals mit anerkennendem Nicken für Stocker direkt wettmachte: „Draußen“ das zuweilen nicht nur witterungsbedingt eiseskalte Land, welches vor riesigen Problemen steht und Monate nach der Wahl dringend eine tragfähige Regierung braucht, hält man „drinnen“ im Studio des aktuellen Polittalks, flankiert von wohlig-warmen Orangetönen, parteiaffine Kommunikationsstrategen offenbar immer noch für jene Diskutanten, die in dieser Situation besonders interessant fürs Publikum wären – ganz ehrlich: So kann’s leicht kommen, dass dem neuen Format schneller der Saft ausgeht als dem kürzlich eingestampften.

Eine Randnotiz hier, wie auch in der gut 50-minütigen Sendung: Irmgard Griss. Als dritte Person am großen Tisch wirkend ein wenig wie das fünfte Rad am Wagen, trat sie unfreiwillig als Empfängerin des „Österreichplans“ in Erscheinung, jenem dicken ÖVP-Wahlprogramm, welches Stocker zunächst freundlich Heidi Glück, dann eben der einstigen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs gereicht hat. Die angesehene Juristin, die politisch bei den NEOS angestreift hat und selbst als Abgeordnete schon einmal zwei Jahre im Nationalrat saß (2017 – 2019), wäre lieber etwas in die Themen gegangen, hätte sich beispielsweise gerne über die Strukturen einer zu schaffenden Generalstaatsanwaltschaft unterhalten. Einzelperson oder Dreiergremium, weisungsfreie Spitze nach Vorbild des deutschen Generalbundesanwalts oder mehrköpfiges Gespann, um etwaige Einflusssphären auszuschließen – zu anspruchsvoll für diesen Rahmen, kam sie im Ansatz dieser Gedanken sogar mit Stocker überein.

Folge 1, Fazit „Flop“

Viel Raum für Worte ausgerechnet für einen, den man – wie es sich offenkundiger kaum darstellen könnte – besser schlicht an seinem Handeln misst. Viel Gelegenheit für wenig Konkretes, das Stocker zu entlocken war, der bezeichnenderweise schon vormittags darauf bei einer Pressekonferenz deutlich mehr zu sagen hatte. Erwartbar kalkulierte, präzise ausgemessene Standpunkte des Hauptprotagonisten, null Erkenntnis fürs Publikum und kein taugliches ein Mittel, dem sich abzeichnenden Nichts etwas entgegenzusetzen, doch noch irgendetwas Spannendes zu entlocken – der wohl bewusst gewählte, nicht nur verglichen mit Wahlkonfrontationen eher zurückhaltende Moderationsstil Schnabls wurde in keiner Weise honoriert.

Wenig über war leider weiterhin für thematische Substanz, die es nicht einmal in dieser kaum kontroversen Runde aus der Deckung geschafft hat. Mindestens das wäre gefordert gewesen bei einer derart entschleunigten Podiumszusammensetzung. Tatsächlich sind wir inmitten des politischen Theaterdonners, an den wir uns in Österreich längst gewohnt haben, inzwischen soweit, dass jedes wirkliche Thema, kaum angeklungen, gefühlt wie ein Abschweifen daherkommt, welches sofort Schnappatmung bei Moderation oder Gegenüber auslöst.

Nachdem die renommierte TV-Journalistin Corinna Milborn am Dienstag bei Markus Lanz im ZDF einer entsetzten Runde in Hamburg dargelegt hat, wie wenig jeglicher thematischer Diskurs in diesen Zeiten hierzulande überhaupt stattfindet, legt der ORF in seinem nagelneuen Polittalk ernsthaft damit los, in einer fein eingerichteten Komfortzone Parteistrategien zu besprechen. Mit Leuten, die ihrerseits am Eingemachten dran sein sollten.
Auf welche Untiefen sich die Verantwortlichen da eingelassen haben – „Das Gespräch“ startet mit einem Mega-Flop.