SK St. Johann vs. FC Wacker Innsbruck – Zu Gast beim Tiroler Aufstiegsthriller

SK St. Johann gegen FC Wacker Innsbruck

Sommerpause in Salzburg, aber in Tirol wird noch gespielt – und wie: Die Hypo Tirol Liga gilt vor dem Entscheidungstag als engste Spielklasse Österreichs. Das Epizentrum im Aufstiegskampf verspricht St. Johann zu werden, wo es zum Saisonabschluss ausgerechnet unsere Erzrivalen vom FC Wacker Innsbruck, in ihrem nunmehrigen Unterhausdasein, zu beobachten gibt. Ich hab’s nicht weit hin, hier vom Pinzgau aus – also freien Lauf der Neugier und zack: ein fußballfreier Samstag weniger in diesem Sommer.

Weitestgehend Normalität, als ich kurz vor 17 Uhr beim „Koasastadion“, im Dialekt benannt nach dem Wilden Kaiser, ankomme, glücklicherweise noch einen der letzten Parkplätze direkt vor dem Sportplatz ergattern kann und gleich darauf ein weißes Eintrittsarmband im Festival-Stil für sechs Euro. Auf der Anzeigetafel ein 3:1 vom eben beendeten Vorspiel der „SK-Youngsters“ gegen Reith bei Kitzbühel, eine kleine Showbühne steht da, anlässlich des Saisonabschlusses, der in jedem Fall gefeiert werden will an diesem Tag. Ansonsten herrliches Sommerwetter und gebanntes Warten: auf das Endspiel um den Aufstieg, auf die zahlreich angereisten Fans von Wacker Innsbruck, die einen gemeinsamen Marsch vom Hauptplatz aus angekündigt haben.

Volksfeststimmung, trotz allem: Im „Koasastadion“ fieberte man dem spannenden Saisonfinish entgegen

Drumherum ein Politikum: Von Rechtsstaat und Menschlichkeit

Es wäre an der Stelle naheliegend, gleich auf diese immens spannende Ausgangslage im Rennen um den Aufstieg einzugehen. Doch leider – von daher auch die eingangs als so bemerkenswert geschilderte Normalität – droht sich das Spiel des Jahres nur noch im Schatten von dessen ergreifender Vorgeschichte abzuspielen, welche sich diese Woche zugetragen hat: Am Montag wurde St. Johann-Stürmer Silas Obulor festgenommen. Der 23-jährige Nigerianer netzt seit Juli vergangenen Jahres fleißig bei den Koasa-Kickern, brachte es bei seinen 32 Einsätzen in Kampfmannschaft und 1B auf stolze 20 Treffer und ist auch als Nachwuchstrainer des Vereins überaus beliebt. Obulor hatte erst im heurigen Februar einen Asylantrag eingebracht, welcher dann bereits nach rund vier Wochen negativ beschieden wurde. Dieser Spruch des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl sei in der Kürze der Zeit auch noch von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden, wurde ein Ressortsprecher des Innenministeriums zu dem Fall auf „MeinBezirk.at“ zitiert.

Doch weder eine Überprüfung des dafür zuständigen Bundesverwaltungsgerichts noch jedwede eilige zivilgesellschaftliche Initiative – der junge Mann ist via Fußball top-integriert und hat angeblich auch eine Job-Zusage von einem Hotel – konnten die Durchsetzung von Silas’ Abschiebung verhindern: Nach kurzer Zeit in Schubhaft hob die Chartermaschine nach Abuja schon am frühen Donnerstagmorgen in Wien ab und ein ungewöhnlich schnelles Prozedere einer Asylabwicklung war vollbracht – vier Wochen bis zum Entscheid über den Antrag, danach kaum drei Monate bis zur Außerlandesbringung. Silas Obulor darf demzufolge in den kommenden 18 Monaten nicht erneut nach Österreich einreisen.

Das alles sehr zum Entsetzen von Obmann Josef Gurschler und der gesamten Fußballfamilie in St. Johann, wo speziell das Tempo der Rückführung im konkreten Fall missfällt. Zumal ein deklarierter Schwerpunkt eine solche besonders rasche Abhandlung insbesondere für straffällig gewordene Asylwerber vorsieht, was im Fall von Silas gewiss keine Rolle spielen sollte. Zum Spiel gestern sind die St. Johanner dann übrigens unter Protest angetreten, was den Hintergrund hatte, dass für den Verein – offenbar nach einer Erkenntnis vom späten Dienstag – ein Einwirken Dritter in dieser Causa nicht gänzlich auszuschließen war.

Ausgangslage im Aufstiegsrennen: Thriller vorprogrammiert

Jetzt aber rein in diesen Spieltag, an dem dann doch alles recht ungetrübt nach Volksfeststimmung aussah – wider Erwarten, lediglich ein Bild von Silas hing an mehreren Stellen der Haupttribüne. Nicht so, wie es die Ereignisse der Woche vermuten ließen, inklusive medial Zitiertem – Spiel für St. Johann sei so nur von geringer, nebensächlicher Bedeutung, etc. Vielmehr so, wie es der Ausgangslage gebührt: Wacker Innsbruck liegt drei Punkte hinter dem derzeit Sechsten St. Johann, den sie mit einem Auswärtssieg dank Heranziehung des direkten Duells bei Punktegleichheit überholen würden. Wacker könnte somit Relegationsplatz 6 aus eigener Kraft schaffen, für Platz 5 und den direkten Aufstieg wäre überraschende Schützenhilfe vonnöten. Die Gastgeber wiederum wollen nicht nur unbedingt vor den Innsbruckern bleiben, sondern schielen ihrerseits dezent und leise auf den direkten Aufstieg. Notwendig dafür wäre neben einem weiteren Heimsieg – im starken Frühjahr 2023 haben die Unterländer all ihre Heimspiele gewonnen – Schützenhilfe aus dem Zillertal, wo Tabellenmittelständer Mayrhofen den SK Ebbs zu Gast hat.

Eine Stunde vor Anpfiff begann das sympathisch vorgetragene Programm des SK St. Johann, gar in Doppelmoderation brillierte man von der Sprecherkabine aus. Die Zuschauer wurden in „mundgerechten“ Happen über alle Eventualitäten in Kenntnis gesetzt, wie sie die Komplexität dieses Saisonfinishs hergibt. Geht’s nach dem Tiroler Landtagsabgeordneten Peter Seiwald, der vor dem Spiel noch für ein kurzes Interview beim Platzsprecher war, dann bekommen wir es als Austria Salzburg wohl schon demnächst mit beiden dieser Mannschaften zu tun: Den SK St. Johann, dessen aktueller Hauptsponsor Seiwald mit seiner Firma ist, sieht er in fünf Jahren als gefestigtes Team in der Regionalliga West (wofür es neben dem heurigen noch einen weiteren Aufstieg bräuchte), und „seinem“ FC Wacker – der dafür heuer auf der Strecke bleiben würde – rechnet der als solcher befragte „Edelfan“ vier Jahre vor, die es brauche, ehe der Traditionsverein wieder dort sei, wo er hingehöre: in der Bundesliga.

Top-Kulisse, Rauch & Choreo und Blitzstart

Vorweg: Diese Bundesliga-Tauglichkeit kann man den Innsbruckern auch als Zugehöriger des Erzrivalen in puncto Fan-Unterstützung durchaus attestieren. Der schwarz-grüne Anhang füllte die südliche Längsseite des Koasa-Ovals mit einer stattlichen Zahl an Supportern. Diese waren 90 Minuten lang motiviert am Werk, ganz nach „Liebe-kennt-keine-Liga“-Art. Nachdem man die charmante Moderation des Platzsprechers soweit honorierte, dass man in einem zweiten Anlauf sogar beim offiziellen „Stimmungstest“ mitmachte und sich dem Vergleich mit der Kids-Kurve der Marktgemeinde stellte, zeigte der Fanclub Unterland eine nette Jubiläumschoreographie mit dem Transparent: „Seit 30 Jahren zieht uns der Mythos in den Bann, der Ort des Ursprungs für immer St. Johann“. Die 1993 gegründete Gruppe war zunächst eine Sektion der unlängst aufgelösten „Verrückten Köpfe“ mit dem Hoheitsgebiet eben im Tirol östlich von Innsbruck, ehe „Unterland“ nach etwas internem Knatsch seit 2012 als eigener Fanklub im nördlichen Tivoli auftritt.

Die Fans von Wacker Innsbruck beim entscheidenden Auswärtsspiel in St. Johann

Wenige Minuten bevor’s losging, lernte der Stadionsprecher noch, dass der Matchball nicht, wie irrtümlich von ihm kolportiert, von einem Paragleiter eingeflogen wird, sondern von einer Drohne – eigenwillig so oder so, wurde das Spielgerät dann vom Flugkörper über der Spielfeldmitte abgeworfen. Etwas originell, wandten sich die von Schiedsrichter Stjepan Bosnjak aufs Feld geführten Mannschaften bei der Begrüßung keiner der beiden gut gefüllten Längsseiten zu, sondern der – freilich ebenso voll besetzten – Haupttribüne, die im Koasastadion an der Hintertorseite platziert und im Gegensatz zu allen anderen Bereichen mit einem Fangnetz ausgestattet ist. Was auch immer so zu befürchten sein mag, im Regelbetrieb, von dieser „Wand“ mit ihren paar wenigen roten Sitzschalen.

Viel Sonne und ein paar hohe Wolken zum Anpfiff um 18:30 Uhr, und die folgenden Minuten hatten es gleichmal in sich: Die paar leichten Rauchschwaden der Innsbrucker Intro waren noch nicht ganz abgezogen, da sah sich der hochmotivierte Gästemob schon mit einem 0:2-Rückstand konfrontiert. Die Führung der Hausherren nach drei Minuten offenbarte sofort die größte Schwäche der Wacker-Mannschaft: Defensivverhalten bei Standards. Ein Kopfball von Milos Peric nach scharf hereingebrachter Ecke war’s, ehe nach nur gut vier Minuten Stefan Pfannhauser eine schöne Kombination mit dem schnellen Doppelschlag krönte.

Entscheidende Schwächen trotz wackerer Moral

Wackers Traum also zerplatzt, bevor man noch richtig einen Fuß aufs St. Johanner Grün setzen konnte? Die ganz in weiß gekleideten Gäste arbeiteten sich erst in der Folge etwas besser ins Spiel. Ein sehr schönes Tor per Seitfallzieher von Jawadi in der 22. Minute war sogleich das Resultat dieses Aufbäumens. Der Ausgleich wäre für die Truppe von Sebastian Siller kurz darauf bereits möglich gewesen, doch die Innsbrucker hörten nicht auf, ihre Anfälligkeit bei Standards unter Beweis zu stellen: So konnte Marc Köllner in der 34. Minute nach einer Freistoßflanke aus nicht zwingend gefährlicher Distanz recht unbedrängt den Zwei-Tore-Abstand wiederherstellen – mit diesem 3:1 ging es dann auch in die Kabinen.

Innsbruck zur Pause drei Tore vom Aufstiegstraum entfernt, aber noch weiter davon, diesen aufzugeben. Nach Seitenwechsel waren auf Anhieb die Gäste das dominante Team. Von St. Johann kam außer einem sehr plumpen Versuch, einen Elfmeter herauszuholen, für längere Zeit gar nichts mehr. Beifall von allen Seiten erntete dann eine Aktion der Innsbrucker Fans für St. Johanns Silas Obulor: „Kein Mensch ist illegal. Gerechtigkeit für Silas“ hieß es da auf mehreren Spruchbändern der solidarisch gestimmten Gästeschar.

Schier wie zum Dank für diese Bekundungen gelang Rami Tekir just in dem Moment der neuerliche Anschlusstreffer zum 3:2. Daraufhin dauerte es nicht lange, bis sich die Innsbrucker erneut entscheidend durchspielen konnten und einen Elfmeter zugesprochen bekamen – länger dann schon bis zu dessen Ausführung: Der Schiedsrichter, der Farbe seines Outfits nach wohl der einzig Violette neben mir im Stadion, hatte noch Gesprächsbedarf vor den aufgebrachten Wacker-Fans am Spielfeldrand. „Innsbruck ist komplett anti-violett“ – alles noch aktuell, wie dabei in Erfahrung zu bringen war. Wie auch immer, den Elfer knallte Jawadi dann staubtrocken rechts rein – 3:3 in der 74. Minute. Die Innsbrucker waren jetzt drauf und dran, das Spiel ganz zu ihren Gunsten zu drehen, und Zeit für den notwendigen Sieg war noch genug.

Ruder zurückerobert: Fortune-Finish lässt St. Johann jubeln

Als die Innsbrucker Führung tatsächlich in der Luft lag, hielt ihr starker Torhüter die St. Johanner im Spiel – optimales Timing und schnelle Reaktion waren die Zutaten für – mindestens – eine Glanzparade von Georg Pendl in dieser Phase. Und in einem zum Ende hin endgültig völlig offenen Spiel schafften es auch die Hausherren endlich wieder, gefährlich nach vorne zu kommen. Nach einer etwas ins Stocken geratenen Angriffssequenz der St. Johanner kam der Ball zu Bruno Perisic, der das Rund einfach mal mit der einfachsten Idee über alle hinweg in Richtung Tor beförderte, wo es – so gewollt oder nicht – von hohem Bogen kommend im rechten langen Eck einschlug. 4:3 also in der 86. Minute, jetzt brachen hier an der Salzburger Straße alle Dämme.

Alles war so wild, aber nichts stand mehr so stabil wie der majestätische Wilde Kaiser, das steinerne Gebirgsmassiv im Norden. Der SK Ebbs lag in Mayerhofen mit 1:3 zurück und würde es offenkundig verfehlen, den einen Punkt für deren direkten Aufstieg dort mitzunehmen. Somit hieß es für St. Johann nur noch, den Sieg ins Trockene zu bringen, lange fünf Minuten Nachspielzeit gegen immer noch gefährliche Innsbrucker zu überstehen, die es von da an mit dem Mute der Verzweiflung probierten.

Aber Herbert Ramsbachers St. Johanner stemmten sich dagegen und schafften tatsächlich alles, was zu schaffen war an diesem Samstag: Sie verhinderten den schon in der Luft gelegenen Sieg Innsbrucks, mit dem der hiesige Aufstiegstraum zerplatzt wäre, sie gewannen ein hochspektakuläres und für diese Liga wirklich auch hochklassiges Spiel, das zwischenzeitig gänzlich zu kippen drohte und nicht nur das: sie hatten die Fortune des Spieltags, dass dieser schöne Sieg vor einer Top-Kulisse von offiziell 2.000 Zuschauern sogar zum direkten Aufstieg in die neu geschaffene Regionalliga Tirol 2023/24 reicht.

Da lag was in der Luft: Sehenswertes Saisonfinish

Nach dem Abpfiff dann ein freudiger Platzsturm aus dem Kinder- und Familiensektor und typisch Tiroler Folklore zum großen Erfolg des ambitionierten Vereins mit den Klängen der Schürzenjäger, „Sierra Madre“. Inmitten der grün-roten SKS-Jubeltraube, das Bild ihres abgeschobenen Stürmers – „Ein Sieg für Silas“, titelte die „Tiroler Tageszeitung“ am Sonntag. Dass das schwarze Fangnetz gewisse Dienste besser anderswo getan hätte als dort wo es stand, war anzunehmen – die paar Hartplastikbecher von der Familientribüne waren dann aber doch eher als Kuriosität zu werten. Ernsthaft unnötig hingegen war für mein Dafürhalten eine völlig durchgeknallte Drohne, die vor allem nach Abpfiff irre schnell und immer knapp genug über den Köpfen der Zuschauer umherflog, dass zumindest ich nicht unglücklich darüber war, mein Haupt bald wieder im Auto zu wissen…

…auch um mich oft und gerne an einen spannenden Tag bei einem sonst wirklich interessanten und ambitionierten Fußballklub erinnern zu können, mit dem wir es durchaus noch zu tun bekommen könnten in den kommenden Jahren. Einen aufstrebenden Verein einfach mal bei einem seiner attraktivsten Heimspiele aller Zeiten besucht – „Seini Hons“, das war stark!

Später Sonnenuntergang am Wilden Kaiser nach einem vollendeten Fußballsamstag für den SK St. Johann

Tja, und Wacker Innsbruck: Wir wissen, wie sich das anfühlt. Aber scheinbar sind die unteren Ligen ohnehin in vielerlei Hinsicht ein wahrer Gesundbrunnen – sieht gar nicht übel aus bisweilen. Nach Häme ist mir gerade nicht, nicht als Zugehöriger des Erzrivalen im Westen. So wenig, wie nach Mitleid für eure Ehrenrunde in der Tiroler Liga. Stattdessen habt ihr euch, zumindest von mir ganz persönlich, ein Grundmaß an Respekt verdient für diesen schwierigen Schritt, für das beherzte Aufbäumen in dieser Saison. Vielleicht kommt das alles aber auch eher pragmatisch daher: Weil ich mir, im Sinne eines geilen Fußballerlebnisses, kaum etwas mehr wünsche als unser schönes, gutes-altes Westderby!