Es war mein Onkel, der mich früh in meinem Leben für die Salzburger Austria und für Fußball im Allgemeinen begeistert hat. Nicht dass Georg ein besonders fanatischer Anhänger gewesen wäre, aber zu dieser Zeit, Mitte der Neunzigerjahre, hat es dieser liebenswerte Klub einfach allen angetan – in Salzburg Stadt und Land sowieso, aber im Grunde lag ganz Österreich damals unserem Verein zu Füßen.
Die Theorie bekam ich als ganz junger Bub noch zu Hause beigebracht, das schöne Violett gefiel mir auf Anhieb und so war ich recht bald auf die richtigen Farben konditioniert. Als ich dann als Siebenjähriger im August 1993 zum ersten Mal ins altehrwürdige Lehener Stadion mitgenommen wurde, hatte ich dementsprechend auch schon die ersten Ansprüche. Wer das Spiel gewinnen soll war jedenfalls schon klar. Wahrscheinlich hatte ich sogar schon mehr Ahnung, als das wohl heute ganz viele von denen haben, die sich alle paar Jahre bei Großereignissen versuchen, als Fußballfans zu deklarieren. Georg wählte zwar nicht den attraktivsten Sektor, Sicherheit ging vor. Aber das war damals egal, immerhin waren wir dem originellen Kroaten mit seiner rot-schwarzen Jacke ganz nah – die Trainerbank von Otto Baric war vor uns. Dieses erste Austria-Salzburg-Match lehrte mir auch sofort, wie es sich anfühlt, wenn dich die Fußballwelt enttäuscht – überraschend setzte es eine 1:2-Heimniederlage gegen den VfB Mödling. Es war eine der seltenen Niederlagen in dieser Saison, an deren Ende die Austria, der Geschichte nach schon überfällig, erstmals Österreichischer Meister wurde. In den Jahren zuvor war vieles ganz unglücklich gelaufen, was mich ob meines jungen Alters damals aber noch nicht tangierte.
Ins unvergessene UEFA-Cup-Finale, bei dem die damaligen violett-weißen Helden dramatisch unglücklich an Inter Mailand gescheitert waren, schaffte es mein Verein in besagter Saison auch. Es frisst mich noch heute der Neid, wenn ich Geschichten von Fans höre, die das zu dieser Zeit alles live erleben durften – konnte man es mir nicht gönnen, schon fünf bis zehn Jahre früher Gast auf Erden sein zu dürfen? Sodass ich die Krankl-Verpflichtung samt so manchem historischen Spiel, wie jenem gegen Kufstein oder dem Drama gegen Spittal, erlebt hätte und die magischen Europacup-Abende unter den Flutlichtern von San Siro & Co. hätte wirken lassen können. Umso wichtiger war deshalb der Rundfunk, denn so interessant auch jedes einzelne Meisterschaftsspiel schon war für mich, Matchbesuche waren noch nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Ein typischer Samstagnachmittag begann um 15:30 Uhr vor dem ORF-Teletext, wo bis etwa 17:20 Uhr die Seite mit den Spielständen ununterbrochen aufgerufen war. Wenn das Bild zuckte, schoss Adrenalin durch den Körper, es muss irgendwo ein Tor gefallen sein. Lag Salzburg kurz nach 17 Uhr knapp in Führung, dann ging das Zittern so lange, bis das Ergebnis nicht mehr in rot, sondern in gelb angezeigt war. Das bedeutete, dass das Spiel beendet war. Begleitet wurde dieses Prozedere vom Radio, wo es zu dieser Zeit nach jedem Musiktitel Live-Einstiege gab und notfalls auch ein Lied unterbrochen wurde, wenn es irgendwo geklingelt hat. Jetzt musste noch die Zeit bis 18 Uhr mit einer Sendung zur Vermittlung von Haustieren überbrückt werden, „Wer will mich?“ hieß dieses legendäre TV-Format. Wenn dann Edith Klinger mit ihren süßen Hunden und Katzen fertig war, begann endlich die Bundesliga-Sendung, damals mit dem schlichten Titel „Fußball“. Obwohl die Technik noch nicht so weit war, könnten sich die heutigen TV-Gesichter wirklich vieles von Leuten wie Peter Elstner & Co. abschauen. Spannende Samstage gab es also schon in ganz frühen Zeiten meines Daseins als Fußballfan. Viel lieber wäre ich natürlich immer im Stadion dabei gewesen, aber meine jungen Jahre erforderten noch etwas Geduld. Meine Zeit war eben noch nicht gekommen bzw. war sie gerade erst am Kommen.
So muss ich glücklich darüber sein, dass ich mich heute zumindest an legendäre Fernsehabende aus dieser Zeit erinnern kann. Auch wenn das heute komisch klingen mag, aber der ORF hatte damals einen super Kommentator, der mit viel Leidenschaft die Europacup-Spiele der Austria in die Wohnzimmer der Nation brachte. Viele der Formulierungen von Robert Seeger habe ich noch heute im Gedächtnis präsent. Das Fernsehen als uneingeschränktes Leitmedium, die ganze Familie am Abend vor der Röhre versammelt – heute Nostalgie, doch dieses Gefühl durfte ich noch erfahren. Und wie: Die Europacup-Abende der Salzburger Austria waren die totalen Straßenfeger. Am späten Nachmittag wurde noch Knabbergebäck und Bier gekauft und auch am nächsten Tag gab es nur ein bestimmendes Gesprächsthema. Eben nur als Fernsehereignisse, aber diese Europacup-Spiele werde ich nicht mehr vergessen, bevor sich der Sargdeckel über mir schließt. Dieser unglaubliche Abend Anfang Dezember 1993, als die Violetten im Rückspiel gegen Sporting Lissabon verdient, aber auch unglaublich glücklich zuerst den 0:2-Rückstand aus dem Hinspiel drehen konnten und dann die Portugiesen durch ein Traumtor in der Verlängerung aus dem UEFA-Cup geworfen haben. Noch heute erzählt man sich Geschichten rund um dieses Spiel, darüber, dass die Portugiesen Probleme bekamen, weil sie ihren Rückflug gebucht hatten, ohne eine Verlängerung einzukalkulieren. Ich weiß heute nicht mehr genau, ob der Lampenschirm in unserem Wohnzimmer an diesem Abend nur mehrmals ganz stark gewackelt hat, oder ob er letztlich sogar zerbrochen ist – Kekse und Chips lagen jedenfalls quer im Raum verstreut, obwohl wir doch alle recht ordentliche Leute waren.
Dieser legendäre Sieg zum Abschluss des Fußballjahres 1993 ebnete den Weg für die ganz große Europacup-Glorie im darauffolgenden Jahr. Die weiteren Heimspiele im UEFA-Cup und später in der Champions League wurden im Wiener Ernst-Happel-Stadion ausgetragen, um dem enormen Zuschauerinteresse Rechnung zu tragen. Anekdoten aus all diesen zauberhaften Abenden würden – im Detail erzählt – hier den Rahmen sprengen, vielmehr sehe ich solche als Anregung für den einen oder anderen separaten Blog-Beitrag. Als Otto Konrad im Frankfurter Waldstadion zum Helden des Elfmeterschießens avancierte, als wir Oliver Kahn nach seinen arroganten Aussagen mundtot machten und nach der Frankfurter Eintracht auch den Karlsruher SC aus dem UEFA-Cup warfen, als unser Brasilianer Maro Antonio dos Santos – kurz Marquinho – das Mailänder San Siro mit seinem Stangenpendler im UEFA-Cup-Finale verstummen ließ, als wir gegen den späteren Champions-League-Sieger Ajax Amsterdam ungeschlagen blieben und auswärts sogar dem Sieg nahe waren, als wir schließlich auch durch einen Kniefall der UEFA am grünen Tisch vor dem ruhmreichen AC Milan denkbar knapp ein Weiterkommen in der damals nur 16 Klubs umfassenden Champions League verpassten. Die „Rossoneri“, der spätere Finalgegner von Ajax – ja, tatsächlich, beide Finalisten waren in unserer Gruppe – wurden in einem für heutige Verhältnisse undenkbar geringen Ausmaß bestraft und so hatten wir am Ende nach einer 0:1-Heimniederlage im letzten Gruppenspiel bei Punktegleichheit das Torverhältnis im Vergleich mit den Mailändern gegen uns.
Austria Salzburg wurde daraufhin auch 1995 wieder Meister. Dann folgte eine verkorkste Saison, die auch auf den Abgang vieler unserer Kindheitshelden zurückzuführen war. Die violett-weißen Stars wechselten ins Ausland. Einige kamen später nochmal zurück, keiner hatte nochmal annähernd so viel Erfolg wie in unserer goldenen Ära unter Kult-Trainer Otto Baric. 1997 schaffte es unsere Austria dann recht überraschend noch ein drittes Mal, Österreichischer Meister zu werden. Dann ging es allmählich bergab, zumindest in Richtung Tabellenmitte. Zwar qualifizierte man sich nochmal für den UEFA-Cup, erreichte nach einem Sieg in Udine die zweite Runde, wo man dann deutlich an Parma scheiterte. Insgesamt aber ging der Trend in die falsche Richtung, es folgten Lizenzprobleme, Abhängigkeiten, unprofessionelle Strukturen und all die Dinge, die man bei einem Fußballverein einfach nicht brauchen kann. Somit war auch der nächste kurze Aufschwung, als wir 2003 ins neue Stadion an der Autobahn übersiedelten, nur ein kleines Strohfeuer. Die Seele dieses Vereins übersiedelte ohnehin nie an diesen neuen Standort, der inzwischen längst für einen Teil unseres elementarsten Feindbildes steht.
Denn 2005 begann in jeder Hinsicht etwas, das mehr ist als nur eine neue Ära. Ein Energydrink-Hersteller kaufte den Verein und ließ keinen Stein auf dem anderen. Die Geschichten um diese Vorgänge hängen mir derart zum Hals hinaus, dass ich an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen möchte. Kurz und bündig: Der Konzern hat mit seiner wirtschaftlichen Macht jegliche Werte Austria Salzburgs niedergewälzt und war nie interessiert, den Verein als solchen weiterbestehen zu lassen. Es entstand ein völlig neues Konstrukt, dessen Vorstellungen von Fußball schlicht andere sind als jene der Salzburger Austria. Was sich im Zuge dieser Übernahme ereignet hat, war natürlich begleitet von emotionalen Auseinandersetzungen, die im Grunde bis heute andauern. Es macht nur wenig Sinn, diese Sache auch weiterhin emotional aufgeladen anzugehen, schließlich sind die Würfel gefallen und das Ergebnis ist klar und deutlich: Jeder, der auch nur ein bisschen etwas für Werte im Fußball übrig hat, jeder, der seinen Verein anhand einer gewissen Identität wie Vereinsfarben identifiziert, jeder, dem Fußball auch wegen der Atmosphäre ans Herz gewachsen ist, jeder, der eine Ahnung von Fußballkultur hat, jeder, der einen gewissen Feinsinn hat, kommerzielle Machenschaften kritisch zu hinterfragen und vor allem jeder, der Austria Salzburg jemals wirklich geliebt hat, der wird sich nach 2005 nicht dem großen Konzern, sondern dem unter schwierigen Umständen wiedergegründeten, epochal wiederauferstandenen Sportverein Austria Salzburg angeschlossen haben und auch heute stolz die traditionsreichen Vereinsfarben violett und weiß repräsentieren.
Die Fans ließen den Verein nicht sterben, als er anderen Interessen weichen musste und auch der Gleichgültigkeit vieler ausgesetzt war, die noch heute meinen, Fan von Austria Salzburg gewesen zu sein oder auch immer noch zu sein. Kurzum: Der SV Austria Salzburg wurde zu einer Weltanschauung des Fußballs, der auch eine andere Betrachtungsweise gegenübersteht. Das klingt sehr sachlich und ist ehrlich gesagt künstlich formuliert, authentisch ist anders. Deshalb abschließend meine Sicht der Dinge nochmal frei von der Leber: Wer in den Jahren nach dieser Übernahme hierzulande für die Austria argumentierte, der hatte es beim Gegenüber meist mit gehörig vielen Idioten zu tun. Dafür erreichte uns aus allen Ecken und Enden des Kontinents, ja des Planeten, umso mehr Solidarität. Sieht man von den viel zu vielen Schwachköpfen in der eigenen Stadt und vor allem am gleichnamigen Land ab, dann hat der Schritt der Austria-Szene von Beginn an sehr viel Respekt erfahren.
Die erfolgreichen Jahre der Salzburger Austria, die während ihrer schnellen Reise durch die Ligen des Unterhauses im Salzburger Fußballverband vergangen sind, markieren somit das nächste Kapitel in einer turbulenten Vereinsgeschichte, die eben doch weiter geschrieben wird. Nachdem im Sommer 2006 der Spielbetrieb in der siebten Liga, der untersten Spielklasse, wieder aufgenommen und der lange Weg zurück nach oben in Angriff genommen wurde, fand man sich bereits vier Jahre später in der dritthöchsten Spielklasse, der Regionalliga West, wieder. Auch in dieser Liga gehörte man schon bald dem Spitzenfeld an und mit dem Meistertitel 2015 gelang dann der mit Abstand schwierigste Aufstieg. Das 2006 ausgerufene Ziel, binnen zehn Jahren zurück im Profifußball sein zu wollen, konnte somit ein Jahr vor Fristende erreicht werden. Man war wieder angekommen auf den TV-Bildschirmen und durfte sich Bundesligist nennen. Weil dafür insbesondere bei teuren Anforderungen in puncto Infrastruktur rund um das kleine Stadion in Salzburg-Maxglan, das nunmehr seit Sommer 2007 die Heimstätte unserer Austria ist, finanziell über Leichen gegangen wurde, folgten aber Zwangsabstieg und Geldprobleme. Derzeit läuft ein Sanierungsverfahren, um die Austria in einigen Jahren wieder schuldenfrei zu machen. Sportlich muss man aktuell wieder mit der Regionalliga Vorlieb nehmen, wobei auch in der dritthöchsten Leistungsstufe bis auf weiteres gehörig der Rotstift angesetzt werden muss. Es erfüllt mich mit Stolz, den Weg von Austria Salzburg als Verein, der von seinen Fans am Leben gehalten wird, seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs im Sommer 2006 durch alle Ligen intensiv begleitet zu haben und das natürlich auch weiterhin zu tun.
Unser Traditionsverein wurde durch all diese Ereignisse natürlich sehr in seinem Charakter geprägt. Es ist viel kritischer Geist, der heute mehr denn je gefragt ist, dazugekommen. Erfolg wird vielseitiger interpretiert als nur durch sportlich gutes Abschneiden, Zugehörigkeit zu Ligen oder Profigeschäft. Die Austria lebt, wechselhaft wie die Zyklen der wirtschaftlichen Konjunktur wird auch die Geschichte in violett-weiß weiter geschrieben werden – mit neuen Höhen und Tiefen. In welches Fahrwasser wir auch immer kommen werden, unsere Grundwerte einer gepflegten Fußballkultur und einer Identität mit Strahlkraft werden wir behüten. Wie es ein Rapper aus der Fanszene in seinem Lied so treffend erklärt: Darauf passen wir auf „wie ein Kleinkind auf sein Baumhaus“.
Dass die Story eine so lange wird, konnte mein Onkel nicht ahnen, als er mir in den Neunzigerjahren das Violette schmackhaft machte. Besonders als Teenager knallte ich immer wieder mal mit dem Kopf durch die Wand, um etwa auswärts dabei zu sein – nicht jedes Abenteuer hatte den Segen von daheim. Um zur Austria zu kommen war mir jedes Mittel recht, was zum Glück dann aber doch auch bald von denen akzeptiert wurde, die mich privat aushalten mussten und so ganz nebenbei auch noch für mich verantwortlich waren. Georg hat also richtig was ausgelöst, als er mir diesen Verein genau zur richtigen Zeit, am glanzvollen Höhepunkt seiner langen Historie, vorgestellt hat – ein nicht mehr rückgängig zu machender Schritt, dessen Eigendynamik niemals mehr aufzuhalten sein sollte.
So glanzvoll wie damals wird mein Verein allerdings wohl kaum noch einmal dastehen können. Schon alleine deshalb nicht, weil auch die Fußballwelt selbst viel von ihrem wahren Glanz verliert. Während alles professionalisiert, kommerzialisiert und äußerlich aufpoliert wird, bröckeln die ursprünglichen Werte dieses Sports immer mehr ab. Man hat das Gefühl, dass dem Geld und der optimalen Vermarktung mittlerweile alles untergeordnet und auf jegliche Moral in einer völlig neuen Qualität einfach gepfiffen wird. Es wurde längst ein Rad überdreht. Viel zu wenige sind daran interessiert, beziehungsweise überhaupt mit dem nötigen Bewusstsein ausgestattet, die Entwicklung des Fußballs weg vom Arbeitersport hin zu einem Produkt der Unterhaltungsindustrie aufzuhalten und derart beunruhigende Tendenzen zu erkennen, geschweige denn zu korrigieren oder aufzuhalten. Mahnenden Stimmen fehlt die Macht, Verbände und Investoren wollen ohnehin nichts von Sachen hören, die nicht primär mit finanziellem Profit zu tun haben.
Immerhin an die 30 Mal hatte ich das Vergnügen und die Ehre, die Violetten im Lehener Stadion live erleben zu können, bevor die Austria übersiedelte und das geschichtsträchtige Betonoval später abgerissen wurde. In dieser Zeit bekam ich eine riesige Inspiration zu spüren. Das Lehener Stadion hatte ein ganz spezielles Flair. Wer an der Schumacherstraße 14, inmitten eines dicht besiedelten Wohngebiets, Stadionluft schnuppern konnte, der weiß, was vielen Stadien heute fehlt. Unsere liebenswerte Austria hat zwar ihre ganz eigene Aura, die sie immer umgibt. Der Spirit des alten Stadions ist aber unübertragbar und wird auf ewig ein Mythos des Stadtteils Lehen bleiben. Hier verfolgte ich mein erstes Spiel vom bescheidenen Familiensektor aus, bevor ich mir dann bei mehreren Spielen in den Sektoren auf den Hintertorseiten meistens einen Stehplatz ganz vorne, direkt am Gitterzaun, ergattern konnte und somit früh eine Ahnung davon bekam, wie sehr auch die Verschmähung des Gegners einfach dazugehört. Im letzten Jahr der Austria in Lehen wurde dann noch ein ganz zentraler Aspekt meiner Leidenschaft wach geküsst: Ich entdeckte den Fansektor. Zusammen mit Papa und Freund Matthias bin ich ins Stadion gefahren, wo wir uns erstmals auf einen Sitzplatz bequemten. Doch weil das Sitzfleisch von jungen Burschen oft nicht sehr dick ist, kam es, dass Papa bald die Plätze neben sich frei hatte. Wir marschierten derweil die Gegengerade entlang, bis wir bei den fanatischen Fans am anderen Rand der Tribüne angekommen waren. Ein erstes Schmunzeln sprang aus unseren Gesichtern, als wir dem leidenschaftlichen Vorsänger das erste Mal bei seiner Art, die Austria zu lieben, zusahen. Die Parolen aus seinem Megaphon erreichten uns sofort, sie elektrisierten uns förmlich und von da an war klar, dass wir die Matchbesuche fortan in die eigene Hand nehmen werden. Viel häufiger, eigentlich immer, wollten wir jetzt dabei sein und zwar nicht irgendwo, sondern im Fansektor. Für das nächste Heimspiel kauften wir uns direkt nach diesem Spiel gleich die Karten, ohne noch genau zu wissen, wie wir überhaupt hinkommen können. Aber wir wussten ja, dass wo ein Wille auch ein Weg ist, das haben wir in anderem Kontext zu Hause schon einmal gehört – und letztlich klappte auch alles so, wie wir uns das vorgestellt hatten.
Nach der Jahrtausendwende fuhren wir im Freundeskreis zu immer mehr Spielen. Wenn mal keiner Zeit oder Muße hatte, dann war es mir bald auch egal, alleine durchs Land zu düsen – die Austria zog mich stets an und schließlich kannte ich ja ohnehin bald viele Gesichter, die nicht aus der eigenen Region waren. Jeder, der lange dabei ist, erzählt in der Hinsicht ähnliche Geschichten. Im Lauf der Jahre lernst du im Umfeld des Vereins irrsinnig viele Leute kennen, sehr viele entfernen sich aber nach kürzerer oder längerer Zeit wieder ebenso schnell, wie sie zuvor in Erscheinung getreten sind. An dieser Stelle ein Hoch auf die Konstanten in unserem Verein, von denen es dennoch zu viele gibt, als dass sie aufzuzählen an dieser Stelle nicht den Rahmen sprengen würde. Bald begann dann auch die Zeit, in der Auswärtsspiele zur Selbstverständlichkeit wurden. Keine noch so ungünstige Zugverbindung konnte mich davon abhalten, zu den Spielen aufzubrechen. Mit dem Führerschein waren dann organisatorische Herausforderungen ohnehin viel einfacher zu lösen, so kam es zur ersten richtigen Spritztour mit meinem ersten Auto auch gleich am ersten Wochenende – nach Wien ging’s, Rapid auswärts.
Als wir in der Zeit nach 2005 auch die unteren Klassen im Amateurfußball beehrten, begann ich mir eine zusätzliche Facette des Fußballs zum Hobby zu machen und fing an, Fußballreisen zu unternehmen. Glücklicherweise fanden sich immer wieder Leute, die den Spaß mitmachten und für neue Stadien und Städte meist sehr kurze, aber umso ergiebigere Trips mit mir in Angriff nahmen. Was sich zunächst eher in Deutschland abspielte, dehnte ich ab 2010 mehr und mehr europaweit aus. Ich wollte die Kathedralen des Weltfußballs sehen und organisierte daher neben den Austria-Spielen auch immer wieder mal größere Reisen, ob nach Mailand, Madrid oder Manchester. Unter anderem konnte ich jetzt auch mit meinen eigenen Augen sehen, was mir 1994, als Austria Salzburg dort zu Gast war, noch verwehrt geblieben ist: das eindrucksvolle Giuseppe-Meazza-Stadion, Mailand-San Siro mit gefühlt 16-jähriger Verspätung.
Die aktuell wesentlichsten Stadien an den Top-Adressen im europäischen Fußball habe ich inzwischen alle gesehen. Im Stile eines Sammlers bin ich dabei vorgegangen und so hat sich mein Radius immer mehr vergrößert. Bald war klar, dass das Fußballherz nur einem Verein gehören kann und dass es selbstverständlich auf ewige Zeiten in Salzburg bleiben wird. Auch angeregt von der WM 2006, für die viele neue Stadien in Deutschland geplant und errichtet wurden, erkundete ich zunächst unser Nachbarland im selben Sprachraum, bevor ich mir die Türen Europas öffnete. Viele Eindrücke konnte ich dabei sammeln, Spanien war wegen der großen Klubs und imposanten Stadien in Madrid und Barcelona interessant, Italien wegen der beeindruckenden Ultras und England als Mutterland des Fußballs mit seiner attraktiven Premier League durfte ohnehin nicht fehlen. Am ehesten verzichten kann ich bis heute auf Länderspiele, da mich die spezielle Atmosphäre, die Fankultur wie sie so nur den Klubfußball umgibt, einfach immer schon deutlich mehr in den Bann gezogen hat. Trotzdem habe ich mir auch schon viele Spiele von Österreich gegeben, bevorzugt aber als Reise-Highlights; von Moskau und Stockholm bis zur Europameisterschaft nach Frankreich etwa, war ich unterwegs mit Rot-weiß-rot. Was auch immer auf mich einprasselte, nichts wirkte je stärker als das früh entfachte Feuer der Vereinsliebe. Stimmig dazu schließe ich mit einem Lied aus unserer Fankurve, dessen Aussage ich als Motto für mein Austria-Leben übernehme:
Egal was auch passiert, egal wohin der Weg uns führt – wir werden immer bei dir sein, oh Austria, nur du allein!
Wahre Worte unserer „Curva Viola“
Ich denke, jeder, der ebenso noch zur violetten Konstante gehört und so wie in diesem Text beschriebenen die ähnlichen Erinnerungen tief in sich trägt, kann sich voll und ganz mit jeder einzelnen Zeile identifizieren!!!
Schön, ehrlich und vollkommen authentisch. Genau so wie unsere Austria in ihrer alten und auch ihrer neuen Ära, die mittlerweile auch schon wieder fast zwei Jahrzehnte am violetten Buckel hat und zum 90. Geburtstag definitiv wieder in die richtige Richtung geht.
Lg aus der „violetten“ Steiermark!